Jakobsweg – Pilgern für Anfänger

Sie ist eine der beliebtesten Touren im EUROBUS-Programm und bietet eine bequeme Art, um den spanischen Pfad der Wunder zu erleben: Die Wanderreise «Jakobsweg».

 

Originalbericht «Pilgern für Anfänger» erschienen in: «Sonntagszeitung» 15. März, 2020.

Text: Christoph Ammann / Sonntagszeitung 

 

Erschöpfte Pilger sind nicht in Sicht, die Bustouristen bleiben unter sich: Einer nach dem andern tritt an die Mauer des ehemaligen Klosters, betätigt den Hahn und füllt einen Plastikbecher mit rotem Rebensaft. Der Weinbrunnen gehört nicht zu den Wundern am Jakobsweg, er ist ein Marketinggag der Bodegas Irache bei Ayegui in der spanischen Provinz Navarra.

Zum «französischen» Jakobsweg, dem Camino Francés, ist es vom Weingut aus nur ein Katzensprung. Ob sich die Buspassagiere den Trunk mitten am Tag verdient haben, bleibt Ansichtssache: Im Gegensatz zu richtigen Pilgern sind wir nicht seit sechs Uhr früh unterwegs, nach einer Nacht in einem kahlen Schlafsaal, Wind, Wetter und brennender Sonne ausgeliefert. Nein, die Schweizerinnen und Schweizer, die meisten im vorgerückten Alter, haben lediglich für ein paar Kilometer den bequemen Ledersessel des Busses verlassen. Chauffeur Urs Zingg hat die Wanderutensilien aus dem Bauch seines blitzsauberen Fahrzeugs geräumt, Klappsitze zum Schuhwechsel aufgestellt und die Truppe in Richtung Puente la Reina verabschiedet. Der Jakobsweg führt hier durch Felder voller Artischocken, Peperoni und Tomaten, anspruchsloses Geläuf und immer wieder schattige Waldpartien. Und die Sorge, wie Pilger früherer Zeiten mit einem Schlafplatz auf der Empore der Kirche von Puente la Reina unter den Augen der Heiligen Jungfrau von Rosario vorliebnehmen zu müssen, treibt uns auch nicht um. Schliesslich hat Reiseveranstalter Eurobus die Hotelzimmer am Etappenort Burgos reserviert. So erlebt man den spanischen Teil des Jakobswegs auf eine sehr komfortable Weise. 

Aus dem Busfenster sehen wir die Pilger über kahle Hochebenen und voralpines Gelände ziehen. Die unattraktiven Passagen des Camino entlang von dicht befahrenen Autostrassen sind kein Thema. Dass noch einige etwas anspruchsvollere Teilstücke auf schmalen, steinigen Pfaden folgen, gehört für die Wanderer aus der Komfortzone zum Abenteuer. 

Da wir nur einen Bruchteil der über 600 Kilometer langen spanischen Strecke zu Fuss bewältigen, wähnen wir uns höchstens als Pilger light, doch sind wir mittendrin – zum Beispiel in der Kathedrale von Santo Domingo de la Calzada, wo eine Schar Gläubiger andächtig zwei Hähne hinter kunstvoll geschmiedeten Gitterstäben bewundert. 

Die Vögel zeugen drei Meter über dem Kirchenboden vom Hühnerwunder von Santo Domingo – eine mittelalterliche Legende, die im ganzen Abendland in Varianten kursiert. Gebratene Poulets sind die Protagonisten, die angesichts menschlicher Unzulänglichkeiten zu lebendigem Federvieh mutieren. Die diensttuenden Güggel von Santo Domingo dösen vor sich hin, statt die Pilger zu erfreuen. Kräftiges Krähen bedeutete Glück auf dem langen Weg nach Santiago. 

Ein Scherzkeks ahmt das Kikeriki des Hahns täuschend echt nach. Worauf eine mittelalterliche Pilgerin vor Rührung in Tränen ausbricht. Wie überall am Jakobsweg blüht das Geschäft mit Andenken. In Santo Domingo warten Keramikhühner, bevorzugt im Dress der Fussballer von Barcelona, Atletico Bilbao oder Eibar. 

In der Regel schauen sich die Buspilgerer am Morgen an Etappenorten wie Burgos oder Léon um. Sie gehen erst auf Wanderschaft, wenn die wahren Jünger Jakobs bereits in den Seilen hängen. Dauerläufer und Vergnügungsreisende treffen sich in der Albergue Nuestra Señora del Pilar in Rabanal del Camino, von Isabella Pilar seit einem Vierteljahrhundert energisch geführt. 

Im Innenhof kühlen junge Koreanerinnen die brennenden Füsse in Wasserkübeln, im Schlafsaal liegen sinnsuchende Gäste wie tote Fliegen auf den 32 Betten, dämmern, lesen oder hantieren am Smartphone, die Wanderkluft an Haken. Fünf Euro kostet die Übernachtung im eigenen Schlafsack, sieben Euro das herzhafte Mittagessen: Salat, Thunfischpastete, Tortilla, dazu Wasser und Hauswein. Isabella hat die Pilgerunterkunft liebevoll dekoriert mit historischen Bildern und Maultierzaumzeug. 

Im Frühling und Herbst sind alle 71 Betten belegt. Zum Glück ist gerade die Nichte aus Bern zu Besuch und packt mit an in der Küche. Ihre beiden kleinen Töchter, eine heisst Greta, müssen sich selber beschäftigen. Alle Pilgerherbergen sind mit der typischen Jakobsmuschel gekennzeichnet. 

Dass der Camino Francés pro Jahr 330’000 Pilger erlebt, dafür ist José López mitverantwortlich: «Ab 1978 begleitete ich den Priester Elías Valiña Sampedro während sieben Jahren regelmässig auf seiner Suche nach dem alten Jakobsweg. Wir markierten die Route alle zehn Kilometer mit dem gelben Pfeil, der heute neben der Jakobsmuschel das Kennzeichen ist.» José López wählte als Knabe die Farbe des heute weltberühmten Pfeiles aus: Sonnenblumengelb. «Die Regierung in Madrid hatte damals keine Ahnung vom Jakobsweg», erinnert sich López. «Pilgern war aus der Mode geraten, und Don Elías musste um die Bewilligung kämpfen, die Route zu kennzeichnen. » Heute profitiert José López direkt von der Wiederbelebung des Jakobswegs. Er führt in O Cebreiro Pilgerunterkünfte und einen Souvenirshop mit Café. «Ohne den Camino wäre unser Dorf auf 1300 Meter über Meer tot», sagt der Unternehmer. 

Erdinger Weissbier neben andächtigen Pilgern

Immerhin steht in O Cebreiro im Osten Galiciens mit der frühromanischen Kirche Santa Maria la Real der älteste Sakralbau am Jakobsweg. Im Innern flackern 300 Kerzen, Pilger beten und gedenken des Hostienwunders, das sich hier 1300 ereignet haben soll: Ein zweifelnder Mönch machte sich über den einzigen Besucher der Messe lustig, der bei Schnee und Sturm in die Kirche gekommen war. Worauf sich Brot und Wein in Fleisch und Blut verwandelten. 

Je näher man Santiago de Compostela kommt, desto dichter wird der Betrieb auf dem Jakobsweg. Im Eukalyptuswald von Melide bietet Lourdes an einem Stand Feigen und Fanta feil, aber auch Himbeergeist. Alkoholika sind beliebt bei den Gruppen lärmender spanischer Männer, die auf den Schlussetappen den Pfad der inneren Einkehr zum Ballermann machen. Die Tische vor dem Lokal El Aleman sind gut besetzt. Erdinger Weissbier fliesst, Besitzer Josef, in Stuttgart geboren, versichert aber, keine deutschen Bratwürste zu servieren: «Bei mir gibt es nur galicisches Essen.» 

Eindrückliches Schlussbild bei einsetzender Nacht am Sehnsuchtsziel, vor der Kathedrale von Santiago de Compostela, die das Grab des heiligen Jakobus birgt. Junge Pilger ruhen auf dem nackten Pflaster, den Kopf auf den Rucksack gebettet, den Blick verklärt gen Himmel gerichtet, unbeeindruckt vom prallen Leben, das in den Bodegas und Tapasbars der Altstadt tobt. 

Beratung und Buchung: Montag – Freitag von 07.30 bis 12.00 | 13.00 bis 17.00 Uhr

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