Südtirol – genussreich und lebenslustig

Voller alpiner Gemütlichkeit und italiensicher Weltgewandtheit begegnet uns das Südtirol. In eleganten Feinkostläden und am Wochenmarkt in Bozen finden wir regionale Käse- und Wurstspezialitäten. Die Landschaft gleicht einem Handschlag zwischen Nord und Süd: Hier schneebedeckte Berggipfel – dort palmenbesiedelte Sonnenhänge. Markus Schmid verrät in der «Schweizer Familie», weshalb sich eine Reise in diese verheissungsvolle Gegend, in der sich Kirchen, Kapellen und Klöster aneinanderreihen, lohnt.

 

Diese Reportage entstand in Zusammenarbeit mit unserem Partner Schweizer Familie. Originalbericht «Abstecher auf die Sonnenterrasse» erschienen in: «Schweizer Familie» 24, 2022.

Text: Markus Schmid / Schweizer Familie 

Fotos: Philipp Rohner / Schweizer Familie

 

Als wäre am Joch des Ofenpasses die Klimagrenze, so schlagartig ändert sich das Wetter. Dichter Nieselregen aus tief liegenden Wolken hat mir und dem Fotografen Philipp Rohner auf der Fahrt durch das wildromantische Unterengadin die Laune vermiest. Doch nun begrüsst uns im Val Müstair eine milde Frühlingssonne, die das Tal noch lieblicher erscheinen lässt. Die Alpenkämme, die das Tal jenseits des Passes eng umstanden, weichen zurück, als wollten sie den Dörfchen inmitten sattgrüner Wiesen Platz machen. Wir sind auf dem Weg nach Südtirol. Doch erst halten wir am Kloster Müstair, das Karl der Grosse im Jahr 775 als Dank für die himmlische Rettung aus einem Schneesturm am Umbrailpass gestiftet haben soll. Wahr daran ist wohl nur die Gründungszeit, aus der Wandmalereien in dem schlichten Klosterkirchlein stammen. Mir haben es vor allem die romanischen Fresken angetan. Sie sind drastische Comicstrips aus dem Mittelalter, auf denen sich eine Salome in wildem Breakdance verrenkt, grässliche Höllenhunde auftauchen und ein Märtyrer in vier Teile zerbricht.

Landesgrenzen sind Ergebnisse einer launischen Geschichte. Das zeigt sich hier am Übergang zu Südtirol, nur einen Katzensprung hinter Müstair: Um das Land an der Nahtstelle zwischen Nord und Süd stritten sich im Lauf der Jahrhunderte so ziemlich alle europäischen Grossmächte. Gewonnen hat das zumeist blutige Gezerre Italien, das Südtirol nach dem Ersten Weltkrieg als Kriegsbeute von Österreich erhielt. Es hätte anders ausgehen können, wie der Vinschgau zeigt, dieses lange Tal am Oberlauf der Etsch. Wie im Münstertal wurde hier bis ins 17. Jahrhundert rätoromanisch gesprochen und wie dieses gehörte der Vinschgau bis 1816 zum Bistum Chur. Und wie mit dem Kloster Müstair markierten die Kirchenherren im Etschtal mit dem Kloster Marienberg ihren Gebietsanspruch.

Es ist eine massive Festung Gottes, die weithin sichtbar aus den Berghängen leuchtet. Doch: «Die Mönche verschanzten sich nicht hinter den Klostermauern », sagt Helene Dietl Laganda, die uns im lichtdurchfluteten Innenhof erwartet, «sondern waren mit dem Tal verbunden.» Die Benediktiner brachten den Vinschger Buben Lesen und Schreiben bei, waren jedoch nicht zimperlich, wenn es darum ging, deren Eltern das barbarische Rätoromanisch auszutreiben.

Auch dieses Kloster birgt einen einmaligen Freskenschatz. Feierlich führt uns die Kunsthistorikerin in die Krypta aus dem 12. Jahrhundert, deren Wandmalereien zum Schönsten gehören, was die Romanik zu bieten hat. Eine Heerschar von Engeln umschwirrt den Betrachter, ihre Gewänder leuchten so hell, als wären sie frisch gemalt. «Das intensive Blau», macht uns Helene Dietl Laganda auf den Himmel aufmerksam, «ist aus afghanischem Lapislazuli. » Ein Mineral, damals so teuer wie Gold. Wie Perlen auf einem Rosenkranz reihen sich Kirchen, Kapellen und Klöster entlang der alten Handelsund Pilgerwege. Kein Örtchen ohne diese Zeugnisse tiefer Frömmigkeit und spiritueller Trostsuche, jedes ein Kleinod mit Wandmalereien, die als steinerne Bilderbücher Szenen des christlichen Glaubens darstellen. Darüber thronen trutzige Burgen, deren Besitzer gut von den Schutzzöllen an den viel begangenen Handels- und Pilgerstrassen lebten. Mindestens 400 soll es in Südtirol geben, viele so gut erhalten, dass sie in jedem Ritterfilm die passende Kulisse abgeben würden. Eine dieser Bilderbuchburgen ist die Churburg oberhalb von Schluderns, einem schmucken Dorf mit verwinkelten Gassen. Im Inneren des Renaissancebaus lassen die kunstvolle Gestaltung der Innenräume und ein verspielt ausgemalter Arkadenhof vergessen, dass die einstigen Burgherren im Mittelalter als besonders streitlustig galten. Erahnen kann man dies in der Rüstkammer der Herren von Matsch und der Trapp-Familie, deren Sammlung an meisterhaft verzierten Harnischen einzigartig in Europa ist. Ein Ausstellungsstück sticht besonders ins Auge: die über zwei Meter grosse und 45 Kilo schwere Rüstung des hünenhaften Ulrich IX. von Matsch, im 15. Jahrhundert Landeshauptmann von Tirol.

Ein rosa-weisses Blütenmeer

Die unruhigen Zeiten sind glücklicherweise vorbei, aus umkämpftem Grafenland ist friedliches Apfelland geworden. Im weiten Hochalpental zwischen Ortlergruppe und Ötztaler Alpen ziehen sich die Obstspaliere weit die Berghänge hinauf. Zehn Prozent der europäischen Ernte stammen aus diesem riesigen Apfelgarten, der sich im Frühjahr in ein rosa-weisses Blütenmeer verwandelt. Die Südtiroler Paradiesfrüchte waren im 19. Jahrhundert begehrte Delikatessen mit wohlklingenden Namen wie Calville, Edelroter oder Köstlichster, die an Hochstammbäumen wuchsen. Diese sind verschwunden, verdrängt von eng stehenden Spalierbäumen. Bauernromantik kann sich eine Region nicht leisten, die so trocken wie Sizilien ist. «Die intensive Bewirtschaftung ist notwendig», sagt die Bäuerin Nadja Luggin. Dennoch haben sich die Luggins für einen anderen Weg entschieden. Wer den verwinkelten Weg zu ihrem Kandlwaalhof im für seinen Marmor weltberühmten Laas findet, landet im Gewusel eines echten Familienbetriebs. Vor einer Scheune verkorkt Bruder Joachim Essigflaschen, über den Innenhof tobt eine Schar Kinder, während Nadja uns den Hof zeigt. Auf dem einstigen Viehhof pflanzte ihr Vater in den 70er-Jahren die ersten Apfelbäume und entschied, nur noch Biofrüchte anzubauen, wie die 41-Jährige erzählt. Dazu Palabirnen, Aprikosen, Kirschen, Erdbeeren, sogar Senf und Bergkräuter. Und weil sich das Obst in puncto Geschmack, nicht jedoch im Aussehen mit den geschönten Neuzüchtungen messen kann, verarbeiten die Luggins alles lieber selbst.

Die kurze Fahrt vom Kandlwaalhof nach Meran gleicht einem Sprung aus der eher kargen Bergwelt in die exotische Üppigkeit des Südens. Durch die Berge der Texelgruppe vor den kalten Winden aus dem Norden geschützt, gedeiht hier in zahlreichen Parks und Gärten eine mediterrane und subtropische Pflanzenwelt. Palmen, Agaven und Eukalyptus besiedeln die Sonnenhänge über der Stadt und stehen in reizvollem Kontrast zu den schneebedeckten Gipfeln der Dreitausender. Mit dieser Mischung aus felsenfester Beständigkeit und südlichem Flair empfängt uns die Stadt in einer heiteren Gelassenheit, die ansteckend wirkt.

Am Ufer der Passer, des wild schäumenden Flusses der Stadt, lockt das Café Darling mit seiner Sonnenterrasse. Johannes, der Kellner mit österreichischem Dialekt und Charme, bringt Kaffee und gewaltige Cremeschnitten. Und während sich die Schweiz um diese Jahreszeit mit Regenmänteln gegen das nachwinterliche Hudelwetter wappnet, strecke ich bei milden Temperaturen genüsslich die Beine aus und schaue den Passanten beim Flanieren zu. Entspannung ist schliesslich Programm in einer Stadt, die bereits Mitte des 18. Jahrhunderts zu einem der beliebtesten Kurorte wurde. Das hell länzende Kurhaus, das als lang gestreckter Jugendstilbau mit verspielten Säulen, Balkonen und einer grossen Kuppel die Uferpromenade dominiert, erinnert an diese Zeit, als sich die High Society der Belle Époque in der frischen Bergluft und dem milden Klima zum Kur-Stelldichein traf.

Dabei war es vor allem Sisi, die sich damals in Meran erholte und so für dessen Karriere als angesagter Luftkurort sorgte. Weshalb ihr nicht nur ein Denkmal gewidmet ist, auf dem die schwermütige Kaiserin gedankenverloren in die Ferne schaut. An Sisi erinnern ein Park, ein Restaurant und viele Eiskreationen. Und eine Sisi-Promenade führt vom Denkmal hinaus zum Schloss Trauttmansdorff, in dem sie mit ihrer Tochter wohnte. Der prachtvolle Garten rund um das Schloss wurde allerdings erst 2001 eröffnet, wie Charlotte Jenny sagt. Die Anlage sei in vier Welten eingeteilt, erklärt meine Führerin, während wir auf verschlungenen Wegen über Treppen und Stege durch Mischwälder Amerikas, asiatische Bambushaine und eine Südtiroler Miniaturlandschaft wandern.

Es gibt eine Teeplantage, ein Lavendelfeld und einen Weinberg, einen Garten für Verliebte und einen «Verbotenen Garten» mit Giftkräutern. «Die», sagt die Historikerin und Gartenliebhaberin augenzwinkernd, «interessieren jedoch vor allem Frauen.» Obwohl es noch früh im Jahr ist, bedecken Tulpen und Narzissen die Hänge mit einem bunten Blumenteppich, setzen Kamelien rote Farbtupfer, öffnen sich an Apfelbäumen erste Knospen und bezaubern japanische Zierkirschen mit zartrosa Blüten.

Meran wandelte sich mehrmals

Fast könnte man bei so viel Glanz Merans erste Karriere als Hauptstadt Tirols übersehen. So wie es die Grafen von Tirol, deren Residenz mit einem Bergfried über Meran wacht, geplant hatten. Als Keimzelle liessen sie deshalb im 13. Jahrhundert eine Häusergasse mit Lauben für Händler und Handwerker errichten. Der Plan gelang, Meran wurde zur Hauptstadt der Grafschaft und zu einer Handelsstadt. Dann wurde 1420 Innsbruck zur Residenzstadt, Meran verlor an Bedeutung, und die Laubengeschäfte wurden als Viehställe genutzt. Nach dem Wiederaufstieg von der «Kuh- zur Kurstadt» zeigt sich die Laubengasse heute als Shoppingmeile mit eleganten Feinkostläden, Cafés und Boutiquen. Am Abend wird es still in der geschäftigen Gasse, in der Kurstadt kehrt Ruhe ein.

 

Erlesene Weissweine mit lebendiger Säure

Vor Meran öffnet sich nach Süden ein üppiger Talkessel, das Hochgebirge mässigt sich zu Hügeln, statt Obstbäumen wachsen hier Rebstöcke die Sonnenhänge hinauf. Ich denke an Südtiroler Weine, die aus Literflaschen ausgeschenkt wurden. «Es stimmt», bestätigt Philipp Carli, «lange Zeit galt die Devise ‹Masse statt Klasse›.» Das habe sich jedoch Mitte der 80er-Jahre geändert, versichert der 32-jährige Sommelier der Kellerei St. Michael in Eppan. Mengenbegrenzungen und moderne Ausbaumethoden ermöglichen nun Topweine. Was Carli in die Gläser füllt, kann sich schmecken lassen. Es sind erlesene Weissweine mit lebendiger Säure, und selbst die früher als Zechweine verschrienen Rotweine Lagrein und Vernatsch haben Fülle und Samt.

«Bozen ist das Paradies!», schwärmt Cobo. Und Cobo muss es wissen. Eigentlich heisst der 73-Jährige mit dem kräftigen Schnauz Rino Zullo und ist Wirt des Kultlokals Fischbänke in Bozen. Ein Lebenskünstler, der die Welt bereist hat. «Wir haben hier, was man zum Leben braucht: eine tolle Landschaft, viel Sonne, feines Essen, gute Weine.» Die leiblichen Genüsse gibt es um die Ecke auf dem Markt. Hier türmen sich an den Ständen frisches Obst und Gemüse, würziger Käse und geräucherter Speck. Der Handel mit Delikatessen gehört zur Stadt. «Am Schnittpunkt der Handelswege über Brenner und Reschen liessen die Trienter Bischöfe im 12. Jahrhundert einen Marktflecken einrichten», erklärt Elisabeth Tocca, meine Führerin. Auch hier schlendern wir durch eine schmale Gasse mit Lauben. Italienische und deutschsprachige Händler arbeiteten damals hier friedlich neben und miteinander. Anders als in den Nachkriegsjahren, als Südtirol gewaltsam italienisiert wurde. «Ein dunkles Kapitel in der Geschichte» nennt Tocca diese Zeit.

1972 wurde Südtirol zur Autonomen Provinz Bozen, mit vielen Sonderrechten, die das Zusammenleben der verschiedenen Sprachgruppen regeln. Glücklicherweise, denke ich, als wir in Cobos «Fischbänke» den lauen Frühlingsabend geniessen. Vor uns ein kühler Chardonnay aus der Region, neben uns wird Deutsch und Italienisch geredet, und Cobo serviert mit einem «buon appetito » eine Vesperplatte. Genau dieses Miteinander von deutscher Gemütlichkeit, alpenländischem Charme und italienischer Lebensart ist es, was dieses Land zwischen Alpenwelt und Verheissung des Südens einzigartig macht.

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